Freitag, 8. Oktober 2021

Gipsy-Akkorde

Liebe Leser,

ich schreibe viel zu wenig in diesem Blog, zugegeben! Aber wenn ich meine gesammelten Beiträge als schönes Buch herausgeben (lassen) kann, dann ziehe ich das vor. Frisches Geld für in Papier gegossene Arbeit – wer kann da schon nein sagen? Dennoch heute mal ein paar Gedanken zur Akkordbegleitung. Da ich seit geraumer Zeit das Vergnügen habe, mit Joe Bawelino, einem hervorragenden und bedeutenden  Sinti-Gitarristen, zu spielen, treffe ich des Öfteren auf  das Phänomen, dass ich mir einen Akkord oder eine Akkordfolge von Joe abgucken möchte, selbigen bzw. selbige aber (zumeist unter Stress während des Spielens) aber nicht sofort identifizieren kann.

Was ist da los? Das klappt doch üblicherweise ganz geschmeidig! Da bin ich auf die Sache mit der tiefen E-Saite gestoßen.

Joe spielt zum Beispiel bei dem Standard Secret Love von Sammy Fain (den wir in der Tonart C-Dur spielen) ein kleines Intro, welches ich mit folgenden Akkorden begleiten solle:

Mein geliebtes GuitarPro gibt dann (sofern man diese Funktion aktiviert hat, was ich allerdings prinzipiell nicht tue) zum Beispiel folgende Akkordbezeichnungen aus:

| G/B   Bbmin6 | Fmaj7/A   Abdim |

Das ist sicherlich erst einmal korrekt. Wie aber hängen diese Akkorde funktionsharmonisch zusammen und was hat diese Folge mit C-Dur zu tun?

Nun, es hilft ungemein, wenn man weiß, dass die Gipsy-Gitarristen (Joe ist zwar ein Bebop-Spieler, aber nichtsdestotrotz auch Sinto) grundsätzlich die tiefe E-Saite bei ihren Akkordbegleitungen nutzen. Das mag ein historisches Relikt aus den akustischen Zeiten eines Quintette du Hot Club de France sein, wo der Sound der begleitenden Gitarren einfach "fett" sein musste. 

Und wenn bei einer solchen Vorgabe auch noch der Bass chromatisch fallen soll, wird aus diesem dem trivialen Turnaround (den wir hier eben als Intro nutzen)

| Emin7   A7 | Dmin7   G7 |

ein wesentlich komplizierter anmutendes Gebilde. Nebenbei: Die (prinzipiell sinnvollere) Angabe in Stufen ergibt

| iii   V/ii | ii   V |

Hier nun die im TAB geschriebenen Akkorde nach dieser Logik:

| Emin7/B   A7/b13/Bb | Dmin7/9/A   G7/Ab |

Dass ein A7/b13/Bb auch A7/b9/b13 und ein G7/Ab auch G7/b9 geschrieben werden kann, sei am Rande angemerkt.

Alles nicht allzu kompliziert, und wenn man's weiß, auch leicht reproduzierbar. Wenn Ihr also mal wieder einem Sinti-Gitarristen bei der Begleitung auf die Finger schaut (und eventuell manchen Griff nicht identifizieren könnt), denkt daran: Die tiefe E-Saite ist immer dabei!

Viel Spaß beim Spielen, bleibt gesund

Euer

Gige






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