Donnerstag, 1. September 2016

Invitation

Liebe Leser,

Invitation heißt ein sehr schöner Jazzstandard von Bronislau Kaper aus dem Jahr 1952. Ich wurde schon Anfang der 1990er durch die von mir sehr verehrte Scheibe Sixpack von Gary Burton auf diesen Song aufmerksam.
Erst in den letzten Jahren hat sich meine instrumentale Fertigkeit auf ein Niveau gehoben, dass ich mir zutraue, diesen Standard einigermaßen ordentlich zu Gehör zu bringen. Und weil ich die o. a. CD verdammt oft gehört habe, ist mir das dortige Arrangement so vertraut, dass ich einige Teile eher nach dieser Version intoniere, als nach der im Sheet geschriebenen.

Aber... Invitation hat seine Tücken! Auch erfahrene Mitmusiker rumpeln bisweilen aus der vertrackten unsymetrischen Form (ich selber natürlich auch), so dass ich beschloss, diesen Standard in diesem Blogbeitrag mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht finden wir ja einige Erkenntnisse, die das Spiel dieses schönen Standards erleichtern.

Er ist im Realbook V zu finden und wird hier nur zu Analysezwecken in minderer Qualität abgebildet:



Schon bei den ersten Gehversuchen stellte ich fest, dass ein paar kleine Änderungen an der Begleitung (gemäß der Gary-Burton-Version) dem Song meines Erachtens ganz gut tun.

Sowohl in Takt 7 wie auch in Takt 15 ist ja statt der erwarteten zwei Takte Major7-Tonika ein Septakkord notiert, was natürlich Absicht des Komponisten war und nicht angetastet wird. Erlaubt ist aber immer, einem Septakkord (welcher per se ja normalerweise eine V. Stufe ist) seine persönliche ii voranzustellen ("related two" oder "relatetd ii")). Ich schlage also in Takt 7 statt Bb7 ein Fmin7/9 (die 9 kommt vom G in der Melodie) und entsprechend in Takt 15 statt Db7 ein Abmin7/9 vor. Ich finde den Wechsel von Dur-7 zu Moll-7 reizvoll.

Am Ende des A-Teils (welcher immerhin 32 Takte dauert, der B-Teil dagegen ganze 16) stehen vier Akkorde in vier Takten, welche man als ii (Emin7/b5 ist in Dmin die ii. Stufe) - V (Eb7 mit dem Ton A in der Melodie ist die Tritonusvertauschung von A7/b13) in Dmin interpretieren kann. Das folgende D7/#9 (alteriert ist notiert, aber entscheidend ist der Melodieton F, eben die #9) spielt eine Doppelrolle, denn es ist zum Einen fast eine Dmin-Tonika (enthält sowohl Moll- wie auch Dur-Terz), ist aber auch eine sog. Doppeldominante zu C-Moll, die V zu G7, welches die V zu Cmin darstellt, also kurz V/V. Cmin ist unser Ausgangs- bzw. Eingangs-Akkord, zu dem wir ja wieder hin wollen. Im Takt 32 dann endlich die Dominante G7 zu Cmin.

Die Takte 30 bis 32 bilden also eine Dominantkette. Das Emin7/b5 halte ich für weniger gelungen. Vielleicht wollte der Schreiber die fallende Basslinie E-Eb-D-Db durchziehen (wobei er dann ja inkonsequent auf G7 statt dem zulässigen Tritonussubstitut Db7/#11 endet). Ich habe mir im Web auch noch andere Sheets angeschaut, welche den halbverminderten Emin gar nicht drucken. So wollen wir es auch halten – weg mit dem Emin7/b5!

Noch was.

Im A-Teil finden wir ab Takt 17 eine ii-V-Verbindung mit Auflösung in eine Moll-Tonika, welche dann wieder zur ii für die folgende Figur wird. Dies sind keine ii-V-i, denn die ii in einer Moll-Verbindung ist stets ein Moll7/b5, kein Moll7. Eher ii-V-I mit Trugschluss, da ja statt der erwarteten Dur-Tonika ein Mollakkord kommt.

Zu guter Letzt kann man die Akkordänderungen von 7 zu 7(alt) recht schön mit dem Tritonus-Substitut des jeweiligen Septakkords spielen. Zum Beispiel für Takt 18 statt / Gb7 G7(alt) / alternativ / Gb7 C7/9 / spielen. Probiert es aus – auf der Gitarre klingt's geil!

Hier also nun das Sheet mit den besprochenen Änderungen, provisorisch retuschiert:




Eine funktionsharmonische Analyse zur Improvisation (Skalenvorschläge etc.) soll in diesem Beitrag nicht stattfinden. Vielleicht ein andermal. Es geht nur um Verstehen und Einprägen von Songs, die eine nicht alltägliche Form haben. Ich finde nämlich, wenn man sich ernsthaft über Struktur und Funktionsharmonik eines Songs Gedanken macht (das dürfen m. E. auch nicht-verifizierte und ggf. etwas "wacklige" sein), prägt sich der Standard leichter ein und ist viel besser auswendig zu spielen.

Zunächst ist ein Auszählen der Taktanzahl der einzelnen Teile des jeweiligen Standards wirklich anzuraten. Ich gestehe offen, dass ich dies für Invitation auch erst anlässlich dieses Blogbeitrags gemacht habe. A-Teil 32, B-Teil 16 Takte. Gar nicht so kompliziert und gut zu wissen, oder?

Sich wenn möglich Stufenangaben statt Akkordfolgen zu merken, schafft zum einen die von mir so geschätzten "Leuchttürme", also Orientierungspunkte im Song, nach denen man sich richten kann, wenn Nebel aufzieht (die Mitmusiker sehr frei improvisieren, so dass z. B. Ende oder Anfang eines Teils nicht klar erkennbar ist), und ist zum anderen beim Transponieren sehr hilfreich. Beispiel: Ich verinnerliche, dass der A-Teil eines (fiktiven) Songs in F-Dur mit einer I-vi-ii-V-Verbindung endet, sagen wir mal als Fmaj-Dmin7-Gmin7-C7. Soll nun der Song nach C transponiert werden, muss ich nicht diese vier Akkorde transponieren, da ich mir ja die Verbindung als Stufen gemerkt hatte. Die I-vi-ii-V kriege ich auch in C sofort hin: Cmaj7-Amin7-Dmin7-G7.

Das funktioniert auch bei Invitation, ist aber zugegebenermaßen dort bei den jeweiligen Enden der Teile etwas tricky. Traut Euch, knackt die Changes! Schreibt mir Vorschläge für die harmonische Interpretation der jeweiligen Schlusswendung!

Viel Spaß mit Invitation, bis bald

Euer

Gige

1 Kommentar:

  1. Lieber Gige!

    Wie immer viel Gutes und Wahres zu diesem unglaublich schönen Standard. Nur der Verbannung des Em7b5 würde ich gerne widersprechen, da sonst der schöne Dominantkette verkürzt wird. Der Delinquent ist vom Komponisten sicher als VIi. Stufenakkord von F melodisch-moll gedacht (superlokrischer Modus), welches gleichzeitig auch die alterierte Skala von E7 (alt.) ist, der Zwischendominante zu A7 (welcher ja durch Eb7 substituiert wird). Der Em7b5 ist damit eigentlich ein verkappter E7#9#11 und damit stimmt die Dominantkette wieder. Zugegebenermassen gehört die Melodienote A nicht zu F-MM, aber die das macht m.E. Erachtens gerade den Reiz der Stelle aus, wenn der Komponist die Spannung in diesem Takt durch ein reine Quinte wieder etwas abschwächt.

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