Freitag, 11. Januar 2019

Funktionen

Liebe Leser,

man kommt im Jazz an ihnen nicht vorbei: An den Stufen und vor allem an den Funktionen der Stufen. In einigen bereits veröffentlichten und auch noch folgenden Beiträgen wird immer wieder auf die Stufen und ihre Funktionen eingegangen. Warum eigentlich dieser ganze Zirkus?

Wenn man viele Jahre lang unzählige Standards "aus-checkt", also harmonisch analysiert, hinterfragt man diese Tätigkeit schon nicht mehr. Es schadet aber nie, sich ein paar Gedanken zu machen.

In der Durtonleiter treffen wir auf folgende Stufen, dahinter die jeweilige Funktion:


Wie wir aus der Tabelle entnehmen können, gibt es nur drei Funktionen, welche alle damit zu tun haben, wie man ein Lied oder eine Passage zu Ende bringt. Die Tonika ist der Grundakkord eines Liedes oder zumindest eines Abschnitts, Dominante und Subdominante leiten zu dieser hin. Wie sie das machen, wird in dem Artikel "Die Vierklänge der Durtonleiter - Teil 2" genauer erklärt →

Die Klangverbindung Dominante – Tonika (G7 – Cmaj7) nennt man einen authentischen Schluss oder eine authentische Kadenz. Auch die Subdominante auf der Stufe 4 strebt zur Tonika, allerdings nicht so stark wie die Dominante. Löst sich die Subdominante direkt in die Tonika auf, spricht man von einem plagalen Schluss oder Plagalschluss.

Nimmt nun eine der Nebenstufen den Platz einer der Hauptstufen ein, so ist die klangliche Wirkung immer noch die, die die letzteren aufeinander haben. Ist also die Verbindung V-I (also in C-Dur G7-Cmaj7) ein authentischer Schluss, so wirkt eine vii-iii (Bmin7/b5-Emin7) durchaus ähnlich, weil wir hier die jeweiligen Gegenklänge als Vertreter der Hauptstufen haben.

Natürlich kommen in der Praxis nicht nur Durtonleitern des Quintenzirkels, sondern auch Molltonleitern (Harmonisch- und Melodisch-Moll) und Schlimmeres vor, aber das Prinzip ist beim "Auschecken" immer dasselbe:

Wir versuchen stets, in einem Song vorgefundene Akkorde oder Akkord-Verbindungen als Funktionen zu interpretieren, die wir bereits kennen und spielen können. Wir zerlegen also den kompletten Standard in Funktions-Happen, die wir verstehen.

Und zumeist geht es dabei um Schlusswendungen bzw. deren Erweiterungen. Denn eine sogenannte Zwischendominante ist nichts anderes als ein (lokaler) authentischer Schluss, welche natürlich auch ohne das tatsächliche Eintreten desselben funktioniert. Oder eine Vermollte Subdominante eine Erweiterung des plagalen Schlusses. Oder eine ii-V-Verbindung wiederum ein Teil eines authentischen Schlusses usw.

Diesen Beitrag habe ich deshalb verfasst, um Euch die Beweggründe darzulegen, warum es sinnvoll ist, mit Stufen- und Funktionstheorie an Jazzstandards (aber auch gerne an Rock- und Popsongs) heranzugehen. Keinesfalls soll eine Analyse zu statischen Spielanweisungen führen. Gerade dubiose "Rückungen" und Ideen, die gegen jede Theorie verstoßen seitens des Komponisten sowie intuitives Solospiel der Interpreten, welches einfach "geil klingt" geben der Musik erst ihre Würze. Zudem ist die Analyse nicht immer eindeutig. Mehr als einmal habe ich von renommierten Musikern bei der Diskussion über Songs oder einzelne Passagen gehört: "Das kann man so und so sehen – Geschmackssache"

Und das ist – um es mit Klaus Wowereit zu halten – auch gut so!

Euer

Gige

1 Kommentar:

  1. Gute Einführung zu einem wesentlichen Thema. Funktionsharmonik wird bisweilen als etwas altbacken angesehen, da sich der Jazz in den 60er Jahren von dieser Strukturform abwandte und zu offeneren oder auch komplexeren Strukturen fand. Ich mache allerdings immer wieder die Erfahrung, dass auch bei der Analyse sehr moderner Songs ein Blick durch die "funktionsharmonische Brille" oft sehr hilfreich ist, um Beziehungen zu sehen, die nicht offen zutage liegen.

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