Freitag, 11. Januar 2019

Body and Soul

Liebe Leser,

naja, wenn man mich schon bittet... Ein Leser hatte nach "Body and Soul" gefragt. Und da dieser schöne Standard von Johnny Green aus dem Jahr 1930 auf der Plattform jazzstandards.com seit eh und je an #1 gerankt ist, schauen wir uns diesen Hit jetzt eben mal etwas genauer an.

Anmerkung: Ich werden nicht müde zu betonen, dass eine Zerlegung eines Songs nichts mit irgendwelchen Spielvorschriften zu tun hat. Es soll EINE (von vielen) Möglichkeiten aufgezeigt werden, das jeweilige Lied zu interpretieren und den Leser bewegen, sich selbst Gedanken zur Interpretation und zum Solo zu machen.

Eigentlich wollte ich grob und dirty über die Changes rollen, aber daraus wurde wieder mal nichts. Im Detail fanden sich doch einige Feinheiten, die aus der geplanten kurzen Analyse einen mehrseitigen Artikel gemacht haben. Ich komme daher nicht umhin, wieder einmal festzustellen, dass man einen Song schon genau anschauen muss, um ihn ordentlich spielen zu können.

Das folgende Sheet ist aus dem RB V/1 und hier nur zu Analysezwecken abgebildet:


Zur Analyse:

Akkordanzahl 32, Form AABA

Tonart, Tonraum:

Die Tonart des Songs ist gemäß der Vorzeichen im A-Teil Db-Dur, im B-Teil D-Dur (und C-Dur, was aber nicht ausgewiesen ist)

Schauen wir uns den A-Teil, insbesondere Takt 1 und 2 etwas genauer an. Tragen wir gemäß der Funktionsharmonik stur die Stufen der einzelnen Akkorde ins Sheet ein, ergibt dies folgende erste Zeile:


Wir sehen viele Zwischendominanten, teilweise hinter ihrer Tritonussubstitution (tr) versteckt.

Das Fragezeichen hinter V/ii beim E-vermindert (E07) ist notiert, weil er zwar eine Umkehrung eines C7/b9 darstellt (Funktion V/iii), hier aber zur ii führt. Bei solcherlei Akkord biiiº (also ein verminderter Akkord im Abstand einer kleinen Terz zur Tonika) eiern auch die Kollegen immer etwas herum. Ich selbst substituiere den Akkord im Solovortrag mit einem Bb7, also definitiv V/ii, aber ganz "sauber" ist das nicht, da ja hier in die Komposition eingegriffen wird.

Diese Unsicherheit im Umgang hat mich derart genervt, dass ich mir die nicht zu seltene Figur "Verminderter auf der Mollterz" mal etwas genauer angesehen habe. Eine umfassende Betrachtung des biiiº findet Ihr hier →

Wenn wir Skalen für das Solospiel betrachten, komme ich auf die Ergebnisse dieser Betrachtung zurück.

Sehr interessant sind auch die ersten beiden Takte. Es gibt für die dort notierten Changes zwei (mindestens) Deutungen. Wenn wir statt des D7 den sicherlich gemeinten Ab7 denken, dann entsprechen die Akkorde dieser Folge:

/ Ebmin Ebminmaj7 / Ebmin7 Ebmin6 / 

Der Grundton fällt stetig chromatisch, wie wir es z. B. aus "My Funny Valentine", "It Don't Mean a Thing" oder unzähligen anderen Songs kennen.

Eine solche Figur kann man nun als Molltonika mit wanderndem Bass interpretieren, oder auch als ii-V-Verbindung (die Akkorde Ebmin6 und Ab7 sind gegenseitig Umkehrungen). Egal wie Ihr es seht, Eb-Harmonisch-Moll gefolgt von Eb-Dorisch oder gleich über beide Takte Eb-Melodisch-Moll ist sicher nah an der Wahrheit...

Wenn wir nun den ganzen Song analysieren wollen, hat es sich bewährt, zunächst alle Stufen einzutragen, die wir in der jeweiligen Tonart sofort erkennen können, unabhängig davon, ob vielleicht ein Sonderfall vorliegt. Ich darf dies einmal für Euch machen:


Die drei im Song eingesetzten Tonarten habe ich mit unterschiedlichen Farben notiert, da ja hier ein jeweils neues System an Stufen einsetzt. 

Bis auf die Akkorde in den roten Rahmen sind alle anderen leitereigene Stufen oder Zwischendominanten.

Im Detail:


Takt 1-4:


Für die ersten beiden Takte habe ich meine Ideen ja bereits vorgestellt. Man kann aber generell alle drei Septakkorde der ersten vier Takte als Zwischendominanten deuten:

Bb7 ist eine V/ii, D7 das Tritonussubstitut eines Ab7, also einfach V und das Gb7 ein Tritonussubstitut für C7, welches eine V/iii darstellt. 

Ich persönlich habe mir für (Zwischen-)Dominanten genau zwei Skalen zurechtgelegt (das mag jeder gerne komplizierter halten, wenn er möchte): Zielt die Dominante auf eine Dur-Tonika, spiele ich Mixolydisch, in Richtung einer Moll-Tonika HM5. Ich schrieb "zielt" und nicht "führt", denn die Tonika muss zum Einen gar nicht eintreten (siehe "All of me") oder kann zum Anderen im sogenannten Trugschluss die "falsche" sein (siehe Dmin7/b5-G7-Cmaj7 in "Night and Day").

Tonmaterial für Soli:

Ich halte Eb-Melodisch-Moll (Eb-MM) über Takt 1 und 2 für eine gute Lösung, da die ganze Progression damit abgebildet wird. Eine kleine Klippe gibt es während des Akkords Bb7, nämlich dann, wenn der Begleitende tatsächlich die b9, also den Ton B hinzunimmt, welcher nicht in Eb-MM enthalten ist (da ist es C). Darum: Ohren auf beim Skalenkauf! In Takt 1 Eb-Harmonisch-Moll, in Takt 2 dann Eb-MM umgeht das Problem, ist aber mehr Arbeit...

Oder jeden Akkord einzeln betrachtet (ein Takt pro Zeile):

/ Eb-Dorisch Bb-HM5 / 
/ Eb-Dorisch Ab-Mixolydisch (oder D-Alteriert = Ab-Mixolydisch/#11) /
/ Db-Ionisch C-HM5 (oder Db-MM = C-Alteriert = Gb-Mixolydisch/#11) / 
/ F-Phrygisch Eb-Mixolydisch/b9 (= Ab-Harmonisch-Dur, siehe Beitrag zur biii० →) /

Takt 5-8:


Takt 5 liefert nur die ii. Stufe. 

Für die Akkorde in Takt 6 gibt es zwei unterschiedliche Sichtweisen. Würde ich mich an meine eigene Regel halten ("erst mal alle Stufen aus der jeweiligen Tonart eintragen"), stünde in Takt 6
/ vii V/vi /

Nun kenne ich aber in keinem Standard eine "freistehende" vii. Immer wird die vii zur ii einer ii-V der parallelen (Harmonisch-)Moll-Tonleiter. Der Akkord Cmin7/b5 ist gleichzeitig vii in Db-Dur und ii in Bb-Moll, ob Äolisch- oder Harmonisch-Moll ist egal.

In Stufenschreibweise liegt hier also nach meiner Einschätzung die Verbindung / ii/vi V/vi / vor. Zumindest für diesen Takt müssen wir unsere Tonart Db-Dur verlassen und zu Bb-Harmonisch-Moll wechseln (wobei sich hier nur der Ton Ab zu A ändert). 

Unsere Tonika Bbmin7 (welche zugleich die vi. in Db-Dur ist) erscheint dann in Takt 7. Ob man nun den Mollakkord weiterhin mit HM spielt (er wurde ja sozusagen als Zwischentonika durch die ii-V etabliert) oder gleich wieder nach Bb-Äolisch (also Db-Dur) zurückwechselt ist ein Grenzfall und wie so oft Geschmackssache. Ich persönlich bleibe aus Faulheit in Harmonisch-Moll.

Ein zusätzliches Entscheidungskriterium für die Skala über den Bbmin in Takt 7 ist der auf den zweiten Schlag des Takt 7 notierte Eb7, welcher übrigens in vielen Sheets überhaupt nicht aufgeführt ist. Denn FALLS man diesen Akkord wirklich intonieren möchte, macht er die erste Hälfte des Takt 7 zu einer ii-V aus der Tonart Ab-Dur und legt sozusagen Bb-Dorisch (plus Eb-Mixolydisch, aber das sind dieselben Töne) fest und nicht Bb-Äolisch oder Bb-HM.

Eine ii-V in Ab gefolgt von einer ii-V in Db (auf Schlag 3 und 4) klingt ja durchaus geschmeidig. Allerdings passiert dies alles in der selbst bei langsamen Tempo doch recht überschaubaren Zeitdauer eines Taktes, so dass / Bbmin7 - Ebmin7 Ab7 / Dbmaj7 ... alles in Db-Dur gespielt sicher die einfachste Lösung ist.

Takt 8 liefert die Tonika und in Haus 1 die bereits bekannte V/ii zur Wiederholung des A-Teils.

Jeden Akkord einzeln betrachtet (ein Takt pro Zeile):

/ Eb-Dorisch / 
/ C-HM2 F-HM5 (beides Bb-Harmonisch-Moll) /
/ Bb-Äolisch (oder Bb-HM oder Bb-Dorisch) Eb-Dorisch Ab-Mixolydisch / 
/ Db-Ionisch Bb-HM5 /

Takt 16 bereitet durch eine V den B-Teil samt neuer Tonart vor. Der Tonartwechsel erfolgt somit schon in der zweiten Hälfte von Takt 16. Da es zur Dur-Tonika geht, ist A-Mixolydisch eine gute Wahl.

Takt 17-20


Takt 17 bringt Tonika und ii der neuen Tonart.

Takt 18 hat die Umkehrung der Tonika notiert, die iii (F#min7) als Tonika-Gegenklang klingt ebenso gut. Die in der zweiten Takthälfte notierten Gmin7-C7 hatte ich immer als "Rückung" gespeichert, was per se ja so falsch nicht ist. Aber der geniale Johnny Green hat hier an unerwarteter Stelle eine Vermollte Subdominante plus Doppelmollsubdominante eingebaut. Diese Figur wird im Angelsächsischen als "backdoor progression" bezeichnet und mit den Stufensymbolen iv7-bVII7 beschrieben. Die Skalen sind weniger komplex als es die ganze Erklärung vermuten lässt: G-Dorisch und C-Mixolydisch (beides F-Dur).

Takt 19 und 20 beinhalten ausschließlich Stufen aus D-Dur, weswegen ich mir für diese vier Takte auch die detaillierte Auflistung der Skalen sparen werde.

Takte 21-24


Wir sind gleich fertig, nur noch diese vier Takte!

Die Takte 21 bis 23 enthalten bis auf den Akkord Ebdim ausschließlich Akkorde aus C-Dur, was bedeutet, dass wir hier natürlich genau dieses Tonmaterial verwenden. Ebdim ist wiederum ein biiiº und wird an dieser Stelle meines Erachtens mit D-Mixolydisch/b9 (= G-Harmonisch-Dur) am schönsten gespielt, oder wie ansonsten verbreitet mit B-HM5 (E-Harmonisch-Moll).

Takt 24 muss die Rückkehr in die Tonart Db-Dur realisieren. Auch dies löst der Komponist durchaus geschickt, indem er aus der aktuellen Tonika einen Septakkord macht und diesen chromatisch bis Bb7 schiebt, unserer V/ii zum Wiedereinstieg nach Db-Dur.

Takte 25-32


sind identisch mit 1-8.  

Beim Analysieren habe ich natürlich auch etwas im Internet recherchiert. Die einzige Analyse, die mir überhaupt etwas Information gebracht hat, fand ich unter

https://pianowithwillie.com/body-and-soul-analysis/

was ich Euch nicht vorenthalten möchte. Zugleich könnt Ihr an dieser Seite erkennen, wieviel Mühe ich mir in diesem Blog mit den Analysen gebe.

Habt Ihr Dinge entdeckt, die falsch beschrieben wurden? Sind harmonische Folgerungen oder Skalenvorschläge unklar? Schreibt es mir in die Kommentare, ich werde mich darum kümmern. Und man lernt ja nie aus (was ich durchaus ernst meine).

Viel Spaß mit "Body and Soul"

Euer

Gige

2 Kommentare:

  1. Hi Gige, super - vielen Dank - ich arbeite das Stück jetzt durch!
    LG Stephen Webb

    AntwortenLöschen
  2. Eine sehr gelungen und umfassende Analyse. Eine kleine Anmerkung zu Takt 4 Edim. Du hast völlig recht, dass der harmonische Duktus der Stücks hier eindeutig ein Bb7 als V/ii verlangt. Der Edim Vierklang (E,G, Bb, Db) liefert bzgl. Bb7 folgende Intervalle (in gleicher Reihenfolge) #11, 13, root, #9 - kein klar definierter Akkord aber eine deutlich dominantische Spannung. Klarer werdende Verhältnisse, wenn man sich die gesamte E verminderte Skala (dh die HTGT Skala von E). ansieht. Dann kommen dazu: F,Ab, B und D - bzgl. Bb7 also 5, 7, b9 und die Durterz). Also insgesamt Bb7 alteriert 13 - ein sound der im Jazz als 13b9 recht häufig vorkommt. Von daher ist Dein ausweichen nach Bb7 durchaus "sauber" mit Bb HTGT als "most ingoing" Skala für den Akkord.

    AntwortenLöschen